Oliver von Trzebiatowski ist CTO der SVTI-Gruppe sowie Leiter der Geschäftsbereiche Materials Technology und Industry Service der Swiss Safety Center AG. Nach dem Studium der Materialwissenschaften an der ETH Zürich forschte er bei der ABB Schweiz und der Empa und lehrte zudem als Privatdozent an der ETH Zürich. Seit 2009 ist er in verschiedenen Führungspositionen der SVTI-Gruppe tätig.
Der CTO der SVTI-Gruppe legt im Gespräch mit Herrn Martin Grether von Techkomm die Innovationen dar, die mit der Digitalisierung bereits Einzug gehalten haben, und zeigt, mit welchen Entwicklungen er in Zukunft im Bereich der technischen Sicherheit rechnet.
Unsere 150-jährige Geschichte und die damit einhergehende Erfahrung sind in der Tat ein unschlagbarer Vorteil, dieses akkumulierte Wissen ist unser eigentlicher Ideenpool. Wir nutzen die neusten Technologien jedoch sehr intensiv und gezielt bei der Anwendung unseres Wissens und erweitern damit laufend unsere Möglichkeiten und unsere Angebotspalette. So ist z.B. bei druckbeaufschlagten Anlagen die Sicherheit nicht mehr nur durch ein mechanisches Überdruckventil gewährleistet, sondern durch eine ganze Sicherheitskette mit Sensoren. Salopp gesagt: Bei der funktionalen Sicherheit trifft Elektrotechnik auf Maschinenbau. Und dank der Digitalisierung werden nicht nur die Steuerungen intelligenter, sondern auch die Möglichkeiten der Überwachung und Einflussnahme. Die enormen und gleichzeitig günstigen Rechenleistungen ermöglichen heute eine immer umfassendere Digitalisierung der Prozesse. Damit einher gehen auch schnellere, günstigere, genauere und umfassendere Prüfungen.
Nehmen wir die zerstörungsfreie Prüfung mit Ultraschall. Erste mobile Prüfgeräte kamen so gegen 1950 auf den Markt und konnten damals lediglich die Prüfkörper mit einer einzigen Schallwellenrichtung abtasten, was einen iterativen Prüfprozess mit unterschiedlichen Prüfköpfen erforderte. Um das Jahr 2000 gab es Geräte, die mit bis zu 50 parallel arbeitenden Strahlenrichtungen die Prüflinge schon deutlich schneller und detaillierter erfassen konnten. Der eigentliche Sprung gelang aber erst mit der nun verfügbaren, gewaltigen Rechenleistung. Seit dem Jahr 2018 arbeiten wir mit der «full matrix capture»-Ultraschalltechnik, bei der riesige Mengen von Sensoren (bis 65'000) die Schallwellen aus verschiedenen Winkeln erfassen und als Resultat ein dreidimensionales Abbild der inneren Struktur des Prüfobjekts liefern.
Ein aktuelles Beispiel betrifft eine Stahlbetonverbundbrücke. Dabei werden auf den Stahlprofilen Kopfbolzendübel aufgeschweisst, die den späteren Verbund mit dem Beton gewährleisten. Nun bestanden Zweifel an der Qualität der Schweissnähte dieser Dübel. Mit unserem Ultraschall-Scanner mit seiner Sensormatrix können wir in kurzer Zeit und zu sehr vertretbaren Kosten die Schweissnähte grossflächig testen und dadurch auch eine viel verlässlichere Aussage machen.
Dahinter steht natürlich eine Software, die die Sensorresultate richtig interpretiert und als visuell leicht lesbare 3D-Darstellungen ausgibt. Für die Interpretation der Schnittflächen des 3D-Modells brauchen wir das Wissen unserer Experten, die die Schwachstellen von Schweissnähten genau kennen und wissen, worauf zu achten ist. Wir arbeiten diesbezüglich auch bereits an der Entwicklung einer intelligenten Bildbearbeitung, der sogenannten «machine vision»-Fachdisziplin, bei der die Software die 3D-Modelle erzeugt, intelligent interpretiert und damit die Inspektion der Fachexperten digital unterstützen soll. Möglich machen dies die künstliche Intelligenz und verifizierte Algorithmen.
Ja, zum Beispiel bei unserem Impact-Echo-System «echolyst» für zerstörungsfreie Betonprüfungen. Das erprobte Verfahren misst die Dickenresonanz von Betonstrukturen und detektiert so Fehlstellen. Auch hier erzeugt eine Software zwei- und dreidimensionale Visualisierungen. Vor allem aber wird die künstliche Intelligenz hier auf eine leicht bedienbare Weise implementiert und mit Expertenwissen zu einer Symbiose gebracht, die zu bautechnisch wie auch wirtschaftlich wertvollen Erkenntnissen führt.
Drohnen, aber auch fahrende und schwimmende Prüfroboter sind ein spannendes Thema. Mit ihnen können Sie schwer zugängliche Anlagen leichter überprüfen wie auch diverse Herausforderungen der Arbeitssicherheit vermeiden. Drohnen zum Beispiel können aber noch mehr, wenn man die digitalen Möglichkeiten nutzt. So lassen sich in einer photogrammetrischen Anwendung aus einer Fotoserie dank der hinterlegten GPS-Daten dreidimensionale Modelle der tatsächlichen Verhältnisse erstellen. Erste Versuche haben wir im Bereich der Sicherheit von Kinderspielplätzen und Freizeitanlagen bereits unternommen. Die 3D-Scans der Drohnenbilder dienen der Beurteilung der für die Sicherheit relevanten Aspekte. Die Beurteilung kann dadurch schneller und kostengünstiger erfolgen.
Je vernetzter neue Anlagen im Zuge der Industrie 4.0 werden, desto komplexer und interdisziplinärer wird deren Bewertung bzw. Risikoanalyse. Hier helfen uns die digitalen Möglichkeiten wesentlich bei der Beurteilung der zahlreichen Schnittstellen und schliesslich der funktionalen Sicherheit.
Wasserstoff wird als ein Energieträger mit grossem Zukunftspotenzial eingestuft. Mit dem Projekt «Solaris-Bus» wird die Wasserstofftechnologie untersucht und gefördert. Für uns ist spannend, dass wir mit der sicherheitstechnischen Gesamtbewertung der eingesetzten Geräte und Anlagen unseren Teil zu dieser Entwicklung beitragen. Dank unserem Know-how vernetzen wir die verschiedenen Richtlinien wie Druckgeräterichtlinie, Maschinenrichtlinie und Explosionsschutz. Dadurch ermöglichen wir den Fortschritt bei möglichst minimierten Risiken. Das ist letztlich, wie einleitend gesagt, eine eher klassische Aufgabe, die jedoch der technischen Evolution dient.
Am Beispiel unserer Autosonic-Anlagen lässt sich dies gut zeigen. Die konventionelle Prüfung von Druckgefässen wird hier durch einen voll automatisierten Prüfprozess ersetzt. Roboterarme greifen die Druckgefässe und platzieren sie an der jeweils richtigen Stelle. Die Anlage erfasst in verschiedenen Einzelschritten sämtliche relevanten Daten und scheidet dabei fehlerhafte Prüflinge selbstständig aus. Das Herzstück besteht dabei aus fünf Ultraschallsensoren zur Prüfung allfälliger Wandschwächungen. Die erhobenen Daten fliessen zudem in automatische Lernprozesse ein. Mit künstlicher Intelligenz und «machine learning» bildet sich die Anlage selber weiter, um es vereinfacht zu sagen. Das ist aber noch nicht alles. Die erfassten Informationen werden nämlich auch dazu genutzt, um einen digitalen Zwilling der Anlage zu erstellen. In einem «cyber-physical loop» kommuniziert eine technische Anlage mit ihrem digitalen Zwilling. Dieser wird dabei laufend intelligenter und kann auftretende Probleme, notwendige Eingriffe selber detektieren und visualisieren. Letztlich können die zu ergreifenden Massnahmen zum Beheben des Problems so aus der Ferne direkt auf ein Tablet eines Technikers vor Ort übermittelt werden. Diese Methode ist natürlich nicht nur für die Druckgefässprüfung einsetzbar, sie eignete sich eigentlich für fast jedes Produkt.
Eine interessante Entwicklung stellt die Blockchain-Technologie dar, wobei ich jetzt nicht an digitale Währungen denke. Ich verfolge mehr die in der Kunst aufgekommene Entwicklung des «non-fungible token». Dabei wird eine Kopie eines grundsätzlich beliebig oft kopierbaren Kunstwerks mithilfe eines von allen einsehbaren Hauptbuchs als «echt» deklariert. Umgelegt auf unsere Anwendungen denke ich an die Möglichkeit, künftig Prüfprozesse im Voraus festzulegen, indem wir die einzelnen Schritte so definieren, dass das Zertifikat nur erteilt wird, wenn alle definierten Schritte korrekt ausgeführt werden. Das mag nun vielleicht noch etwas nach Science-Fiction klingen, aber wir müssen damit rechnen, dass wir aufgrund der rasanten Entwicklung schon in kurzer Zeit mit ganz neuen Herausforderungen konfrontiert werden. Die Industrie 4.0 ist erst am Anrollen.
Wichtig ist mir dabei festzuhalten, dass wir von der SVTI-Gruppe uns als Ermöglicher von Entwicklungen sehen, weil wir das Wissen haben, um Innovation mit Konformität und Sicherheit in Einklang zu bringen. Auch der Slogan des Swiss Safety Centers lautet daher zu Recht «Mit Sicherheit in die Zukunft». Wir verfolgen die aktuelle Entwicklung von ganz nah und versuchen die Zukunft schon jetzt abzubilden. Wir werden auf diesem Weg auch immer wieder auf Dinge stossen, die wir noch nicht kennen. Gerade aus diesem Grund arbeiten wir auch mit Hochschulen und Forschungsanstalten zusammen. Ganz wichtig bleibt jedoch: Den Aspekt der Sicherheit lassen wir dabei nie aus dem Auge.